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Kirchengebäude
Geisenfeld-Online

Die Kirche St. Ulrich auf der vergessenen Burg Ainau


Unsere Heimat
Historische Blätter für den Landkreis Pfaffenhofen
Nummer 7/2004
144. Jahrgang

Ainau - darüber gibt es viel und nichts zu sagen, je nach Lebensalter und Lebenserfahrungen, Regungen der Ehrlichkeit oder des Opportunismusses:

Nichts (oder sehr viel leider meist hinter vorgehaltener Hand!) über einen unglücklichen Priester, den die Nazis dermaßen hetzten und seine Vorgesetzten so unentschuldbar erschreckend allein ließen, dass er schließlich starb: Ermordet, wie der Pfaffenhofener Lehrer und Geschichtsforscher Reinhard Haiplik nicht unbegründet glaubt und auch mit der Hoffnung weitererzählte, dass irgendein Mitwisser doch noch auspacke - was leider nicht geschehen ist.

Oder "erschossen' von eigener Hand" (Anm.: als er keinen Ausweg mehr sah!), wie die Kripo seinerzeit, erkennbar gesteuert von der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, behauptete, als sie die Akten schloss, nachdem sie zuvor rasch noch zahlreiche aufrechte Persönlichkeiten aus dem Umkreis des Priesters, die sich dem allgemeinen Opportunismus ihrer Mitbürger nicht anschließen wollten, in Angst und Schrecken versetzt hatte - wie zuvor den Pfarrer Braun.

Viel (aber auch da ungern zitiert, weil es ein bisschen geniert), weil die Flachreliefs an den Türbrüstungen höchst unterschiedlich gedeutet werden, von Experten völlig anders als von den Frommen, die wie weitum in Nöten seit Alters her üblich, zu dem Kirchl pilgerten, allerlei Geisterfiguren zu erkennen glaubten und daraus ihre eigenen Schlüsse zogen. Tatsächlich lagen die Pilger nicht so ganz falsch - denn mit der Abwehr von Gefahren haben diese Darstellungen durchaus etwas zu tun. Als nämlich die Kirche in Ainau gebaut wurde, strebten gerade auch die großen Dome Deutschlands nach dem Vorbild Frankreichs in die Höhe. Und diese Dome, der Regensburger wie jener von Rouen in der Normandie, aber auch große bayerische Ortskirchen seit der Romanik von Ingolstadt bis Abensberg und Kelheim, zeigen Schreckensfiguren, halb Mensch, halb Tier, und zeigen Wasserspeier mit Geister- oder Horrorgesichtern, und die waren als Abwehr konzipiert

Im neuen, dem 24. .Jahrbuch "Das archäologische Jahr in Bayern 2003" der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V., das jüngst bei deren Jahresversammlung in Siegsdorf öffentlich vorgestellt wurde, findet Ainau viel Platz: Auf drei Seiten im Großformat berichtet der Bamberger Archäologe Dr. Magnus Wintergerst über teilweise erstaunliche Grabungsergebnisse im vorjährigen Sommer.

Das beginnt bei der Geographie: Dr. Wintergerst spricht von einem Aufschüttungshügel westlich außerhalb Ainaus, umgeben von feuchten, moorigen Wiesen der llmtalaue, "die von kleinen Wasserläufen durchzogen wird". Der Hügel "dürfte eine kleine Burg getragen haben", deren Aussehen man sich bisher kaum vorstellen konnte, da es weder Urkunden noch sonstige Beschreibungen, gar Zeichnungen von dieser Burg gibt.

Allerdings führt der Archäologe, der auch vor Ort die Arbeiten leitete, in der von ihm eingesehenen Literatur Ergebnisse seines Kollegen F. Eibl an: Der erforschte 2000 bis 2002 die Turmhügelburg von Hütt im Markt Eichendorff, Kreis Dingolfing-Landau.

Weitere Vergleiche könnten vermutlich mit einer Turmhügelburg an der Findelsteiner Straße in Deggendorf angestellt werden, die als Rundturm der Überwachung der Deggendorfer Schiffs- und Floßlände am Ort einer uralten Furt und der ersten Deggendorfer Donaubrücke diente; zugleich scheint sie einen sehr alten Pilgerweg geschützt zu haben. Der war zugleich einer der "goldenen Steige" aus Baiern, auf denen Salz und andere Güter nach Böhmen und alle möglichen Produkte aus diesen Gebieten transportiert wurden.

Ainau war um diese Zeit durchaus keine Einödregion.

Um 1230 wurde die Ainauer Kirche anstelle der Burg errichtet. "Diese in weiten Teilen heute noch stehende Kirche mit rechteckigem Langhaus und halbrunder Apsis ist wegen ihrer Bauplastik überregional bekannt und fehlt in kaum einer Abhandlung über romanische Kunst in Bayern", schreibt Dr. Wintergerst.
Und weiter: "Auf die Apsis wurde Anfang des 16. Jahrhunderts ein Glockenturm gebaut" - so wie ausgeführt ein Fehler oder Mangelbau, wie sich nach Jahrhunderten bei den Archäologie-Untersuchungen erwies.

1858 verlängerte man das Langhaus nach Westen auf die heutige Größe. Dieser Anbau ist im Grundriss an der geringeren Mauerstärke deutlich zu erkennen. Im Ostteil des Langhauses baute man zur gleichen Zeit eine Sakristei an die Nordseite an.

Zwei Gründe gibt es für Schäden, die am aufgehenden Mauerwerk seit längerer Zeit beobachtet wurden: Zum großen Teil verursachte sie der später aufgesetzte Glockenturm. Schädlich sind aber auch Veränderungen im Untergrund - Folgen vor allem von Grundwassereingriffen durch veränderte landwirtschaftliche Nutzungen im Umkreis, durch Neubauten, Versiegelungen des Bodens und Klimaschwankungen.

Es hatte mehrfach Sanierungen am Mauerwerk gegeben, die das Auseinanderdriften des Mauerwerks aber nicht aufhielten. Darum sollte 2003 das Fundamentmauerwerk der Kirche gesichert werden, wozu es auf eine Vielzahl tiefgründender Betonsäulen gestellt werden sollte. Das dazu angewandte Hochdruckinjektionsverfahren hat sich schon an weitaus größeren Kirchen und mittelalterlichen Bauwerken in Bayern bewährt: In Landshut in St. Martin, der Franziskaner- und Dominikanerkirche, neben der die Regierung von Niederbayern residiert, der das Gebäude buchstäblich unter den Schreibtischen wegsackte, Heilig Geist und Altstadtbauten zum Beispiel.

Nach dieser Sicherung sollte (und wurde schließlich auch!) das Fundament um die gesamte Kirche herum aufgegraben und ausgebessert. Weil dabei unabwendbar alle historischen Schichten zerstört wurden, überdies die nachgebaute Sakristei erneuert werden sollte, hätten Archäologen unbedingt in die Planung einbezogen werden müssen. Es geschah jedoch sehr spät, "so dass erst in letzter Sekunde noch. archäologische Untersuchungen wenigstens im Minimalstumfang durchgeführt werden konnten."

Frühere Grabungen erbrachten wenig Aufhellendes (1965) bzw. können nicht nachvollzogen werden, weil die Dokumentation unauffindbar ist. Doch die Notgrabungen erbrachten "einige erfreuliche Ergebnisse", . schreibt Dr. Wintergerst, der heiße, trockene Sommer ermöglichte eine Grabung bis auf den anstehenden (Ur-)Boden, sodass Rückschlüsse auf die ursprüngliche Topographie gezogen werden konnten.

Demnach stand die Kirche auf einem flachen Sandhügel mit dem höchsten Punkt südlich der Kirche. "In der ältesten Kulturschicht fanden sich nördlich der Kirche erste Bebauungsspuren in Form von Spaltbohlen, die sich deutlich als Gruben mit keilförmigen Kernverfärbungen abzeichneten."

Es waren Überreste eines Zauns oder einer Wand, während ein Pfostenloch darüber zu einem Gebäude gehört haben dürfte. Aus einer dunklen Kulturschicht unter der Kirche wurden Keramikscherben von Koch- oder. Vorratsgefäßen des 11./12. Jahrhunderts geborgen, ferner Reste von sehr weich gebrannten Becherkacheln, "die auf ein mit Kachelofen beheiztes Gebäude hinweisen, das im Bereich der Kirche zu vermuten ist."

Weiter unten fanden sich Reste einer einst hölzernen Befestigung hin zum Moor, "die den Fuß des flachen Hügels sicherte", aber zugleich ein bescheidenes Annäherungshindernis für Feinde gewesen sein könnte.

Westlich der Kirche fand sich ein Graben, der auf der anderen Seite fehlte - dort hatte es nasses, tief gründendes Moor gegeben, über das sich Menschen kaum hinüber wagten. Weitere Kulturschichten lassen auf ein zentrales Gebäude auf dem Hügel schließen, das entweder auf dem Hügel stand "oder mit den Aufschüttungen eingemottet wurde."

In einer späteren Bauperiode entstand ein Steingebäude mit den Ausmaßen des Langhauses der mittelalterlichen Kirche. Es könnte sich durchaus um einen Turm gehandelt haben - hier findet sich die Vergleichbarkeit zu den oben erwähnten Bauwerken:

Denn Burgen jener Zeit warn keine bequemen, angenehmen Wohnhäuser reicher, freier Menschen. Sie waren vielmehr Unterkunft und Dienstgebäude meist ritterlicher, aber durchaus nicht immer freier Menschen. In den Türmen waren im Erdgeschoss Geräte gelagert. Im ersten Obergeschoss hauste die Familie, beengt in verräucherten Räumen ohne jeglichen Komfort, häufig zusammen mit dem wertvollsten Vieh, solange dies nicht geweidet werden konnte; im Winter waren das Eispaläste, in denen rachitische, nicht selten nur mit dem Nötigsten ernährte, ungebildete Kinder heranwuchsen und Senioren unter Rheuma litten. Jeder Bauer in der Umgebung hauste besser.

Im oberen Geschoss wohnten meist Knechte, die zugleich den Lugaus besetzten, um etwaige Gefahren rechtzeitig zu erkennen, damit zum Beispiel bei herannahenden Feinden der Turm gesichert werden konnte oder passierende zollpflichtige Reisende abkassiert wurden. " Von Romantik" , so hat der auf solch einer Burg aufgewachsene Ulrich von Hutten viel später geklagt, "war da keine Spur; wer dort leben musste, brauchte keineswegs beneidet werden!"
Das Fundament dieses Bauwerks hat sich bis zu einem Meter hoch erhalten. Es besteht aus großen Kalksteinquadern im Wechsel mit kleineren Steinen. Nach Auffassung des Wissenschaftlers Dr. Wintergerst wurde das Bauwerk beim Bau der Kirche im 13. Jahrhundert bis in den Fundamentbereich abgetragen. Auf den restlichen, verbliebenen Fundamentsteinen wurde die Kirche "mit kleinteiligem Bruchsteinmauerwerk errichtet. Als neuer Bauteil kam allein die Apsis hinzu."

Das wissenschaftliche Resümee laut Dr. Wintergerst: "Die guten Befunde habe_ ein wesentlich komplexeres Bild der Geschichte der Kirche St. Ulrich gezeichnet, als bisher bekannt." Soll heißen:" Auch in diesem Falle könnte ein Rittergeschlecht seine Burg gezielt zum Bau einer (Wallfahrts-?)Kirche hergeschenkt haben, wie dies in ganz Bayern von Bogenberg über Kastl bis Berchtesgaden zahlreich zu beobachten ist, auch in der für Ainau entscheidenden
Zeit des 13. Jahrhunderts. Der Begründungen für solche Stiftungen gab es viele: entweder erkauften sich die Stifter damit die erhoffte Seligkeit nach ihrem Absterben oder sie sühnten womöglich schwere Verbrechen oder Untaten. Oder Sie verschafften sich in den Klöstern, die mit der Stiftung zumeist bedacht wurden, einen gesicherten Altersruhesitz mit viel Freiheiten und guter Pflege, dazu noch das regelmäßige Gedenken in Form von Gottesdiensten oder bestimmten Gebetsveranstaltungen. In dieser Hinsicht bleibt Ainau auch nach der Grabung ein ungelöstes Rätsel.

Das Archäologische Jahr in Bayern, 188 Seiten, 200 Bilder, Zeichnungen und Karten, Theiss Verlag Stuttgart


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