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Die Geisenfelder Justitia

Der Geisenfelder, Michael Werner, 22.08.2007
Fotos : Miek Michielsen

Eines der ältesten, nahezu unverändert erhaltenen Gebäude Geisenfelds ist das Alte Rathaus. Im Dreißigjährigen Krieg 1626 fertiggestellt beherbergte es die städtische Verwaltung. Angesichts der geringen Einwohnerzahl von 900 Personen schmückte sich Geisenfeld mit einem verhältnismäßig imposanten Symbol weltlicher Macht und präsentierte damit den Reichtum des Marktes.
Am Giebel des Rathauses prangt das kurfürstliche Wappen Bayerns, über der Pforte das gezackte Wappen Geisenfelds und auf dem Dach thront ein Türmchen, das eine 1663 gegossene Glocke beherbergt. Auffälligster Schmuck an der Vorderfront ist eine Iustitia-Figur. Die Göttin Justitia war in der römischen Mythologie für Gerechtigkeit und damit für das Rechtswesen zuständig.

Noch heute dient sie der Justiz als Symbol der weltlichen Gerichtsbarkeit. Schöpfer der Sitzfigur ist der Berchtesgadener Bildhauer Balthasar Stoll, der sie aus Stuckmörtel vermischt mit Kälberhaaren fertigte. Mit der Waage auf dem Knie - Sinnbild für das Abwägen eines Falles -, in der rechten Hand das Richtschwert als Zeichen für die harte Vollstreckung eines Urteils und dem Gesetzbuch in der linken Hand ziert Justitia die Giebelfront des heutigen Heimatmuseums.
Ein wesentlicher Unterschied jedoch zu den üblichen Justitia-Darstellungen betrifft ein fehlendes symbolträchtiges Element: die Augenbinde. Die verbundenen Augen gängiger Skulpturen der Gerechtigkeitsgöttin soll die Urteilsfindung ohne Ansehen der Person, ihres Standes und dem im 17. Jahrhundert besonders entscheidenden Faktor der Religion illustrieren.

Eine Idee, die jedoch erst in der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts zur Geltung kam, als Philosophen wie Immanuel Kant oder Jean-Jacques Rousseau jedem Menschen die Gabe der Vernunft und Freiheit zusprachen und Standesunterschiede entschieden in Frage stellten. Ein architektonisch umgesetztes Umdenken hat in Geisenfeld nicht stattgefunden. Dafür kann man sich über den originalen Erhalt der über 350 Jahre alten Skulptur freuen. Heute steht das Rathaus über der alten Schrannenhalle der Justitia genau gegenüber. Sie richtet ihren Blick somit nicht mehr nur auf die vorbeilaufenden Bürger, sondern auch auf die weltliche, gewählte Macht der Stadt selbst.

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