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Teilnehmer am Symposium am Stadtplatz in Geisenfeld
mit dem Holz der alten Linde

Geisenfeld-Online


Christian: "Im Winter lockt der Süden"

Handwerksbursche lässt sich von Kunstaktion zur Stippvisite verleiten

Maggie Zurek, GZ 29.08.07
Bilder von Ully Becker, Harry Hübner, Miek Michielsen


Grobes Werkzeug aber feines Auge: Am Ende passte genau eine
Halbe in den fertigen Stiefel des Wandergesellen.

Eigentlich hatte er bis zum Abend ein gutes Stück weiter sein wollen, Geisenfeld nicht mal als Zwischenstopp eingeplant. Ein Blick auf den Stadtplatz ließ Christian, einen Handwerksburschen auf der Walz, jedoch seine Meinung ändern. „Lassens mich doch bitte gleich da raus, da scheint was los zu sein“, fordert er spontan seine verdutzte Mitfahrgelegenheit auf. Mit einer Mischung aus Neugier und freudiger Überraschung wurde der junge Mann gleich von den Künstlern „adoptiert“ und zum Mitmachen animiert. So schnell wollte man den sympathischen Schreinergesellen danach nicht ziehen lassen, ein Anruf genügte und ein Nachtlager war besorgt.

Vor elf Monaten hatte sich der 22-Jährige von Nördlingen im Ries auf den Weg gemacht. Drei Jahre und einen Tag lang muss er nach den Bestimmungen seiner Zunft als Freier Vogtländer eine Distanz von mindestens 50 Kilometern zu seinem Heimatort halten.
Die ersten Wochen hat ihn ein erfahrener Altreisender begleitet. Jener war es auch, der ihn nach altem Brauch „nagelte“, das heißt ihm mit einem Hufnagel das Ohrläppchen durchstieß. Einst war der Ring, den man als Zeichen der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft trägt, aus reinem Gold. Starb der Geselle bei seiner Wanderschaft, diente dieser zur Finanzierung eines ordentlichen christlichen Begräbnisses. Verstieß ein Bursche gegen das Gesetz, wurde der Ring abgerissen und dessen Träger zum „Schlitzohr“ gebrandmarkt.

Auf seiner Tour, die ihn bisher durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und Ungarn führte, hat Christian Erfahrungen im Blockhausbau und mit Lehm-Fachwerktechniken gesammelt, viele Insider-Tipps bereichern sein Können. Ein liebevoll gehegtes Wanderbuch legt mit unzähligen Einträgen davon Zeugnis ab. „Meistens werde ich sehr freundlich aufgenommen“, erzählt der junge Freigeist, dessen ganzer Stolz ein echter, mit schwarzem Mausfell bezogener Zylinder ist. Nur im Ausland begegne man ihm als vermeintlichem Zigeuner manchmal mit Skepsis.

In Geisenfeld ließ man den jungen Mann, der seiner Zunft bei der zweitägigen Stippvisite mit Freundlichkeit, Bescheidenheit und Humor alle Ehre machte, nur ungern ziehen.
Auf der Suche nach neuen beruflichen Erfahrungen „vielleicht in Südamerika, wo's auch im Winter warm ist“. Als Unterpfand für die Zusage, eines Tages wieder zu kommen, überließ er den am Stadtplatz geschnitzten Stiefel seinen Gastleuten: „Das nächste Mal trinken wir gemeinsam eine Halbe daraus“, versprach er.

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