Deutschland
Postleitzahl: 85 290
Vorwahl: 0 84 52

Führungen
Geisenfeld-Online

Sonnenschein und Wolkenbruch

Bei der Stadtführung auf den Spuren der bewegten Geisenfelder Geschichte mit Hannelore Major

Der Geisenfelder vom 13. Juni 2007, Oliver Hübel
Bilder : Oliver Hübel, Miek Michielsen und Frau Schreck


Ich steige aus meinem Auto und schwitze augenblicklich. Die schwül-warme Luft erinnert mich an Brasilien, und der Trenchcoat bleibt in meinem Auto.
Es werde heute wohl keine große Gruppe zustande kommen, wurde ich noch am Vortag von Hannelore Major gewarnt.

Angegliedert an das Stadtmarketing bringt sie zusammen mit Antonie Schlierf Bürgern und Touristen die bewegte Geschichte der Stadt näher.
Ihre Worte klingen mir noch im Ohr, als ich mich um 14 Uhr beim Treffpunkt für die Geisenfelder Stadtführung am Rathaus einfinde.
Nach und nach wächst das kleine Grüppchen der zunächst ein wenig verschämt herumstehenden Gestalten allerdings auf über ein Dutzend Geschichtsinteressierter aller Altersklassen an - nicht schlecht für eine "nicht große" Gruppe.
Mit Argwohn betrachte ich die Regenschirme, die fast die Hälfte mit sich führt.

Nur mit meinem T-Shirt bewaffnet zwinge ich mich, gute Miene zu böser Ahnung zu machen, und hoffte, dass der Wettergott mir gewogen bleibt.
Unsere "Gästeführerin", wie es hochoffiziell auf ihrer Visitenkarte heißt, ist die adrette und wortgewandte Hannelore Major. Mit ihrem geflochtenen Körbchen sieht sie ein bisschen so aus, als hätte sie ein Picknick mit uns geplant, was sich allerdings als nicht zutreffend herausstellt.

Stattdessen geht es nach einer herzlichen Begrüßung seitens der Stadtführerin und einem fünfminütigem Glockenkonzert - "extra für die Stadtführung", wie sie uns schmunzelnd versichert - gleich los mit Zahlen und Fakten über Geisenfeld und Umgebung. Seit 600 n. Chr. sei hier eine ständige Besiedelung nachzuweisen, damals noch durch von Böhmen eingewanderte Bajuwaren, und man glaubt es ihr aufs Wort, ist doch der ein oder andere stämmige Urbayer aus Geisenfeld unter uns gespannt lauschenden Zuhörern.

Nach einem Abstecher in das alte Rathaus, also das heutige Museum, geht es auf Sightseeing-Tour durch die verwinkelten Geisenfelder Gässchen und Sträßchen, die hohe Ansprüche an meinen ortsunkundigen Orientierungssinn stellen.
Mir fällt auf, dass die, die keinen Regenschirm in der Hand halten, Regenjacken tragen. Ich versuche, das zu ignorieren.
Die Tour geht also am Chinesischen Restaurant entlang und weiter zur alten Poststation, die einst auch Goethe benutzt haben soll.
Über den alten, schon längst eingeebneten Friedhof spazieren wir buchstäblich über Leichen zu dem Standplatz der ersten Geisenfelder Strommaschine an der Kreuzung der Egelsee- und Grabengasse. Hier, wo Anfang des 20. Jahrhunderts diese Art Generator die allerersten Straßenlaternen zum Glühen brachte und stolz den Vorsprung durch Technik verkündete, befindet sich heute ein etwas unscheinbarer Zugang zur Kanalisation.
Nach der tragischen Geschichte von der viel zu schwachen Geisenfelder Stadtmauer, die den damaligen Markt nicht vor diversen Plünderungen und Schicksalsschlägen bewahren konnte, geht es die Grabengasse entlang, um nach einem Bogen über den Ilmgrund das Kloster in Augenschein zu nehmen.
Hier wird eine klapprige Holztüre, trotz passenden Schlüssels und offizieller Ermächtigung, fast zu einem unüberwindlichen Hindernis: Ein Riegel ist von innen vorgeschoben. Möchte der altehrwürdige Bau heute keine geschichtshungrigen Touristen in seinen Mauern beherbergen? Aber so wie sich der Mensch schon immer gegen seine Umwelt durchgesetzt hat, tut er das auch hier: Sofort fühlen sich ein paar der Herren mittleren Alters in ihren handwerklichen Fähigkeiten herausgefordert und nehmen unserer Gästeführerin das Heft aus der Hand und sich des Problems mit vereinten Kräften an. Nachdem die alten Latten ein wenig hilf- und nutzlos mit einem Regenschirm bearbeitet worden sind, der Riegel aber noch immer unverrückbar an seinem Platz sitzt, löst letztendlich ein junger Bub in einer gewagten Aktion auf den Schultern eines stämmigen Herren das verflixte Ding und macht uns den Weg in den schlichten, aber hübschen Klosterhof frei.
Die alten Gemäuer und vor allem die unterhaltsamen Geschichten und Anekdoten von Frau Major lassen mich die Zeit des so gar nicht enthaltsamen Klosterlebens der adeligen Nonnen förmlich fühlen. Ich erwartete ständig, einen verschämten Blick hinter einem der alten Fenster zu erhaschen oder die Äbtissin um die Ecke biegen zu sehen; vielleicht "schneeballend mit einem Mann, der ihr mehr als nahe gestanden hat", wie es in einem anklagenden Brief aus dem Mittelalter heißt.
Doch nichts davon geschieht, stattdessen fängt es an zu donnern. Spätestens als mir das Foto-Motiv "leuchtend weißer Kirchturm vor pechschwarzem Himmel" ins Auge springt, weiß ich, dass sich mein T-Shirt als unzureichend erweisen wird. Kurz darauf gießt es wie aus Kübeln.
Einen stimmigen, trockenen Abschluss der Führung bildet die überwältigende Kirche, die genau inspiziert wird - vom Baustil über die verschiedenen Maler bis hin zu den schwersten Zeiten, in denen viel Interieur verkauft werden musste und unermessliche Schätze für Geisenfeld verloren gingen.
Von der Stadtführung konnte ich - neben einem ausgewachsenen Schnupfen, der aber meinem Leichtsinn zuzuschreiben ist - viel Wissenswertes und Interessantes über eine Stadt mitnehmen, die mir als Außenstehender zu Unrecht viel zu unbekannt war. Vor allem das Engagement, das die verschiedenen Bürgergruppen seit Jahren an den Tag legen, finde ich bemerkenswert. Ein Lob an die beiden Gästeführerinnen Hannelore Major und Antonie Schlierf, die sich ihr Wissen selbst aneigneten und damit eine wirklich interessante und unterhaltsame Stadtführung kreiert haben.



Zurück